Die 19-jährige Maite Görtz Lizarraga war nach dem Abitur ein Jahr lang in Santa Cruz/Bolivien. Im Don Bosco Hogar hat sie Kinder und Jugendliche bei den Hausaufgaben betreut und Freizeitaktivitäten organisiert. Die meisten Jungen im Hogar haben keinen Kontakt mehr zu ihren Familien und sind auf sich allein gestellt. Viele haben familiäre Gewalt erfahren, auf der Straße gelebt und Probleme mit Drogen.

Was hat dich während deines Aufenthalts in Bolivien besonders berührt?

Es gab während dieses Jahres Momente zum Lachen, zum Weinen, zum Nachdenken und zum Schmunzeln. Auf die eine oder andere Weise hatten viele dieser Momente etwas sehr berührendes. Beim abendlichen Gute Nacht sagen, zum Beispiel, gab es zahlreiche solcher Momente. Abends liegen die Jungen wie Engelchen in ihren Betten, lauschen meinen Geschichten oder wollen noch ein paar Lieder vor dem Einschlafen singen. Dann folgt meistens eine Gute Nacht Umarmung und einen Gute Nacht Kuss. Ein Junge hat mir jeden Abend ein Kreuz auf die Stirn gemalt, und mir gewünscht, dass Gott und mein Schutzengel mich immer beschützen mögen. Dieser reine und aufrichtige Glaube hat mich sehr berührt und inspiriert.

Ein weiterer bewegender Moment, lässt sich am besten mit folgendem Zitat beschreiben: „Du bist die erste Person in meinem Leben, die sich um mich sorgt und kümmert, ohne dass ich danach gefragt habe.“ Dies sagte mein 16-Jähriges Patenkind, nach einem langen Gespräch über sein Leben. Er erzählte mir viel über seine Vergangenheit, die vielen Enttäuschungen und Ängste und sogar von der manchmal aufkommenden Lustlosigkeit zu leben. Diese Worte machten mich auch traurig, denn ich wusste, dass ich bald nach Deutschland zurückkehren würde. Und ich hatte keine Ahnung, wann wir uns wiedersehen würden.

„Doch mittlerweile glaube ich, dass es viel wichtiger ist, einem jungen Menschen die Hoffnung wieder zu geben, dass es sehr wohl Menschen gibt, die sich um einen kümmern.“

Ich hatte Angst, dass er sich wieder im Stich gelassen fühlt. Doch mittlerweile glaube ich, dass es viel wichtiger ist, einem jungen Menschen die Hoffnung wieder zu geben, dass es sehr wohl Menschen gibt, die sich um einen kümmern. Menschen, die sich um einen sorgen, ohne Grund einfach nur so. Dass das Leben nicht nur aus Enttäuschungen und Einsamkeit besteht, sondern dass es auf dem Weg durch das Leben Menschen geben wird, die sich um ihn sorgen und kümmern werden, ohne Fragen zu stellen.

Hat das Jahr dich verändert?

Mit der Zeit sind mir Veränderungen an mir aufgefallen, mit denen ich teilweise nicht gerechnet hätte. Wer hätte jemals gedacht, dass ich Studieren als egoistisch und sehr selbstbezogen empfinden würde? Aber so ist es! Ich bin im letzten Jahr so in meiner Aufgabe aufgegangen, dass mir das Studium als Lebensinhalt einfach manchmal nicht ausreicht.

Für die Zukunft betrachtet hat es natürlich seinen Sinn, doch gerade in diesem Moment, in dem ich in der Statistikvorlesung drohe abzuschalten, könnte ich versuchen, etwas zu bewegen, ein Kind trösten und zum lächeln bringen und meine Kraft nicht nur für mich behalten. Ich denke, ich bin in diesem Jahr ein etwas selbstloserer Mensch geworden, denn Sachen einfach nur um meinetwillen zu tun, reicht mir nicht mehr.
Außerdem habe ich auch gelernt, wie viel ich doch in meinem Leben habe, das wertvoll und kostbar ist. Eine Familie und einen Ort zu haben, den man zu Hause nennt und an den man immer zurückkehren kann. Ich habe viele Jugendliche kennengelernt, die sich das um alles in der Welt wünschen.

Eltern, die ihre Kinder schlagen und zurückweisen , Probleme mit der Polizei, die Überlegung bei Überfällen jetzt auch ein Messer zu benutzen, das Leben auf der Straße, Die Jungen haben oft nur in Bruchteilen von ihrem Leben erzählt, doch als ich dann einmal aufgefordert wurde, mein bisheriges Leben zu beschreiben, habe ich mich nicht getraut, den Mund aufzumachen. Denn plötzlich kamen mir meine ganzen Ängste, Sorgen und Probleme so banal, ja vielleicht sogar, lächerlich vor. Und diese Situation rufe ich mir jetzt oft vor Augen, wenn ich vor einem Problem stehe. Diese ganze Überlegung hat für mich auch viel mit der Suche nach Glück zu tun. In unserer Gesellschaft haben wir oft das Gefühl, immer mehr haben, mehr machen zu müssen, und in dieser ständigen Suche und Hast fällt uns oft gar nicht auf, wie viel Glück wir schon haben.

Würdest du anderen jungen Leuten auch zu einem Volontariat raten?

Das Volontariat zu machen, war die beste Entscheidung, die ich nach meinem Abitur treffen konnte. Ich habe in diesem Jahr so viel gelernt, über mich und andere, über eine andere und meine eigene Kultur. Ich habe so viel erlebt: Glück und Leid, Hoffen und Hoffnungslosigkeit, Lachen und Weinen. Ich habe nicht die Welt gerettet, aber vielleicht habe ich ein paar Funken Hoffnung wieder entfacht, ein paar Träume aufgefangen und wieder zum Fliegen gebracht und ein paar Sorgen durch Lächeln ausgetauscht. Die Leute fragen immer: „Wie war’s in Bolivien?“, und am liebsten würde ich Ihnen sagen: „Unbeschreiblich! Aber um das genau zu verstehen, müsst ihr es selber erleben.“

Foto: Don Bosco Straßenkinder