Von Katharina Schilcher
Als im Dezember 2016 die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen anstanden, wusste jede*r darüber Bescheid, denn die Medien spielten fast verrückt, ob nun Donald Trump der neue Präsident der vereinigten Staaten werden würde. Anders war es bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl in Bolivien, welche im Oktober 2019 stattfand. Wenige wissen wahrscheinlich, dass es sie gab, noch weniger welche Unruhen und Konflikte sie auslöste. Um die Hintergründe der konfliktreichen Wahl zu verstehen, hier ein kurzer Einblick in die derzeitige politische Situation Boliviens.
Seit dem Jahre 2005 regierte Evo Morales Bolivien, damals siegte er mit absoluter Mehrheit in seiner ersten Wahl. 2009 stand die nächste Wahl an, welche er wiederum gewann. In diesem Jahr wurde die Verfassung geändert, unter anderem dahingehend, dass man nur zwei aufeinanderfolgende Präsidentschaften innehaben dürfe. 2014 stand die nächste Präsidentschaftswahl an – und Evo Morales nahm wiederum teil. Seine Partei (Movimiento al Socialismo) überzeugte das Verfassungsgericht, dass Morales Antritt verfassungsgemäß sei, da seine erste Präsidentschaft (2005-2009) vor der Verfassungsänderung gewesen war. Auch 2014 gewann er. 2016 wollte Evo Morales oben genannten Punkt der Verfassung abschaffen, das Volk stimmte dagegen. Jetzt, 2019, ließ er sich trotzdem zum vierten Mal aufstellen, um das Land weitere fünf Jahre zu regieren, doch diesmal war ein Großteil der Bürger nicht damit einverstanden. Zum einen war sein Wiederantritt verfassungswidrig, was Evo Morales persönlich mit den Worten „Präsidentsein ist ein Menschenrecht und die Menschenrechte stehen über der Verfassung“ aber leugnete, zum anderen waren viele Bürger*innen unzufrieden mit seiner Politik. Vor allem in der relativ wohlhabenden, wenig indigenen Stadt Santa Cruz de la Sierra waren die
Menschen Morales Politik und vor allem seines Wahlkampfes überdrüssig. Einen wichtigen Grund dafür werde ich nun im Folgenden erläutern. 2015 erließ er ein Gesetz, das die Brandrodung großer Waldflächen erlaubte, um das 2013 gesetzte Ziel der Verdreifachung der Agrarflächen Boliviens zu ermöglichen. Im Juli 2019 kam ein weiterer folgenreicher Beschluss dazu. Die restlichen Beschränkungen, die noch in den trockenen und heißen Regionen Santa Cruz und Beni galten, wurden erlassen, um demnächst Rindfleisch nach China und in alle Welt exportieren zu können. Die Folgen dessen waren verheerende Waldbrände, unkontrollierte Vernichtung von Bäumen und seltenen Tieren, die weit über dem bis dato bekannten Niveaus lagen. Dazu kam die Produktion von Unmengen an klimaschädlichem CO2 sowie eine Feinstaub- und Rußbelastung, die bis in die Städte reichte. Die Bewohner*innen von Santa Cruz berichteten, dass der Rauch eine Sichtweite von gerade mal einem Häuserblock zuließ, ganz zu schweigen von den nicht sichtbaren gesundheitlichen Folgen für die Menschen. Und wie reagierte Evo Morales? Gar nicht! Seines Wahlkampfes zugute, wollte er kein Aufsehen erregen, löschte die Brände nicht und rief auch nicht den Notstand aus. Die zerstörerischen Folgen seines Handelns konnte er vielleicht im weit entfernten Hochland unter den Tisch kehren, nicht jedoch bei den fast zwei Millionen Einwohner*innen der Stadt Santa Cruz. Hier gingen die Menschen zahlreich auf die Straßen und demonstrierten gegen die Wiederwahl von Evo Morales.
Als dies publik wurde, kam es zu vielen Protesten auf der Straße, Carlos Mesa rief zum Generalstreik auf und die Polarisation gegen Evo Morales verstärkte sich. Vor allem diejenigen, die schon zuvor gegen Evo Morales waren, gingen auf die Straße, doch auch Anhänger von Carlos Mesa, die einen zweiten Wahldurchgang wollten, waren dabei. Dazu kamen die Unterstützer des rechten Aktivisten Luis Fernando Camacho aus Santa Cruz, der als Anführer der Protestbewegung gegen Evo Morales gilt. Nach über drei Wochen landesweitem Ausnahmezustand mit Straßensperrungen, gewaltvollen Ausschreitungen seitens und gegen Militär und Polizei, wurde nicht nur für eine zweite Wahlrunde entschieden, sondern Evo Morales selbst zog seine Kandidatur zurück. Allerdings nicht ganz freiwillig, denn das Militär hatte ihm Mitte November nahegelegt, sein Mandat für das Wohl Boliviens abzulegen, weshalb Evo Morales die Situation als Staatsstreich wertet. Carlos Mesa hingegen ist überzeugt davon, dass nicht das Militär, sondern die „massive bürgerliche Mobilisation“ Evo Morales dazu zwang, seine Kandidatur zurückzuziehen und es sich deshalb nicht um einen Staatsstreich handle.
Zu einer vollständigen Beruhigung der Lage kam es bis heute nicht, es gibt zwar weitgehend keine Brandstiftung, Vandalismus und aggressiven Ausschreitungen mehr, doch nun werden Putsch- Gegner wahllos verhaftet und die vom obersten Wahlgericht eingesetzte Übergangsregierung sorgt nur begrenzt für Ordnung.
Quellen: https://es.wikipedia.org/wiki/Luis_Fernando_Camacho https://amerika21.de/2019/12/234985/neuwahlen- bolivien-im-maerz-2020 https://brasil.elpais.com/brasil/2019/11/11/internaciona l/1573500916_562089.html https://www.theguardian.com/world/2019/dec/07/evo- morales-heads-to-cuba-amid-talk-of-an-eventual- comeback Interviews mit Bürger*innen aus Santa Cruz de la Sierra, Bolivien. Abbildung: El Deber Diario Mayor, 22.10.2019, Titelblatt. |
Die Neuwahlen werden im März 2020 stattfinden, Carlos Mesa will kandidieren und neben ihm nun auch Luis Fernando Camacho, der Aktivist aus Santa Cruz. Ob der wohlhabende, rechtsorientierte Politiker der bolivianischen Gesellschaft helfen wird, ist allerdings fraglich. Evo Morales ging nach seinem Rückzug am 12. November 2019 ins Exil nach Mexiko, am 6. Dezember 2019 weiter nach Cuba mit dem Plan sich danach in Argentinien niederzulassen.