WENN FREIWILLIGE UNFREIWILLIG NACH HAUSE MÜSSEN…
(Auszug aus dem Blog von Gabriel Booms, leicht gekürzt und verändert)
Mit dem folgenden Artikel möchte ich einen kleinen Einblick geben, wie die große Rückholaktion der „weltwärts-Freiwilligen“ am Beispiel der Don Bosco Volunteers in Bolivien so abgelaufen ist. Wir mussten Ende März 2020 unser Volontariat im Ausland aufgrund der Corona Pandemie abbrechen und verbrachten daher nur sieben Monate in Bolivien.

Am Samstag dem 28.03.2020, vor genau einem Monat, war es so weit.
Um kurz nach zwölf betraten wir wieder deutschen Boden am Frankfurter Flughafen. War das so geplant? Ich glaube nicht… Ich bin bestimmt nicht der erste damit, dem dieser Ausnahmezustand einen fetten Strich durch die Rechnung macht. Bei uns Auslandsvolontär*innen hat das sehr spürbare und schlagartige Veränderungen ausgelöst… Ich erzähl euch wie das war.
Es war der 16.03.2020, als vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), die klare Entscheidung bekanntgegeben wurde, so bald wie möglich alle sich im Ausland befindenden Freiwilligen wieder heimzuholen.
Na toll.

Das war genau das, was wir uns alle als das unvorstellbarste Szenario ausgemalt haben. Ich hatte schon zwei Tage zuvor von einer anderen Volontärin, die auch einen Freiwilligendienst in Santa Cruz macht, gehört, dass sie von ihrer Organisation zurückgeholt wird. Das konnte ich erst mal nicht glauben, da die Situation sich in Bolivien noch lange nicht so zugespitzt hatte, wie es zum Beispiel in Deutschland der Fall war. Zu diesem Zeitpunkt gab es gerade mal zwei bestätigte Fälle des Virus im ganzen Land. Daher hat sich also die Anweisung, uns in das Land zurückzufliegen, wo derzeit weitaus schlimmere Zustände herrschten, erst mal unverständlich angehört.
Ich kann mich noch an ein Seminar in unserer Vorbereitungszeit auf den Freiwilligendienst erinnern, wo wir vor ziemlich genau einem Jahr das Thema „Rückholaktionen im Falle von plötzlichen Kriegs- oder Krisensituationen“ behandelten. Hm… da dachte ich mir damals als angehender, frischer, unerfahrener Freiwilliger, dass das halt auch nur obligatorisch in unserer Vorbereitung behandelt werden muss… Aber mal ganz ehrlich – niemand hätte zu dem damaligen Zeitpunkt wirklich damit gerechnet. Ich kann mich da noch selbst dran erinnern, für wie unwahrscheinlich ich dieses Szenario eingestuft habe…
Mit der offiziellen Kundgebung dieser Rückholmaßnahme war es dann aber tatsächlich so weit. Die Stimmung im Volontärshaus? – Kann man sich vielleicht vorstellen. – Alle nicht so gut drauf um es mal so auszudrücken…
Hat denn irgendjemand einen Plan?
Nein. Niemand. Das war das Spannende bei der Sache. Das Bundesministerium in Deutschland hatte nämlich nur bekanntgegeben, DASS wir schnellstmöglich zurück müssen, aber nicht WIE. Das wurde dann nämlich zunächst unserer Organisation und uns selbst überlassen. Man muss sich vorstellen, dass es in den folgenden Tagen von Neuigkeiten nur so gehagelt hat. Hier die Verschärfung der Ausgangssperre in Bolivien und der darauf folgende Aufruf zu Hamsterkäufen, dort die Ankündigung einer geplanten Rückholaktion aller Deutschen aus dem Ausland… ach ja, da muss noch ein Formular ausgefüllt werden… Weiterhin hören wir in immer geringeren Abständen die Schließung jeglicher internationaler Flughäfen in Südamerika, bis es dann auch in Bolivien so weit war. Dann hatte nur noch Sao Paolo in Brasilien als einziger Flughafen auf dem gesamten Kontinent eine Flugverbindung nach Europa.
Aber niemand wusste, wie lange das noch der Fall war… wir mussten also abwägen, ob wir mit irgendeinem Bus noch von Santa Cruz bis nach Sao Paolo kommen würden, bevor uns diese Möglichkeit dann auch gestrichen wird, oder ob wir auf weitere Infos vom Auswärtigen Amt bezüglich eines offiziellen Rückholflugs aus Deutschland warten sollten. So hämmerten die Infos in einem sehr spannenden Live-Ticker auf uns ein.
Dann irgendwann,
…nach einer Woche regem Kontakt mit unserer Organisation und der Deutschen Botschaft Bolivien, Gesprächen mit dem Flughafen in São Paolo, zahlreichen Anmeldungsversuchen bei verschiedenen Rückholaktionen und obendrauf noch einigen emotionalen Krisensitzungen in unserer Wohngemeinschaft, war es endlich so weit. Es kam die (einigermaßen) sichere Info, dass am Freitagabend, den 27.03. ein Riesenflieger nach Santa Cruz geschickt würde, der alle Deutschen Urlauber*innen und Freiwilligen aus ganz Bolivien abholen sollte.
Mitgeteilt wurde uns aber in der selben Mail, ebenfalls von der Botschaft, dass nicht allen ein Sitzplatz garantiert werden könne. Freiwillige hätten aber Vorrang, da sie ja unter der Obhut des Staates im Ausland wären. Nichtsdestotrotz wussten wir bis wir dann letztendlich im Flieger saßen nicht, ob wir einen Platz bekommen würden.

Es waren tatsächlich schon einige Deutsche, die da am Abflugtag aus allen möglichen Orten in Bolivien herkommend an diesem einen Flughafen in Santa Cruz zusammenkamen, wie wir später herausfinden sollten.
Was aber für mich während dieser hektischen Tage natürlich genauso hohe Priorität hatte, war auch ein einigermaßen gelungener Abschied von dem Projekt und den Jugendlichen, mit denen ich immerhin die letzten sieben Monate verbracht habe. Das habe ich aber nach eigenen Angaben der Situation entsprechend ganz gut hinbekommen.

uch für uns war der Plan dann recht bald klar –nach der Verabschiedung hieß es dann Zeug zusammenpacken und raus aus dem Haus –letzteres lässt sich wirklich nicht viel anders beschreiben… als ich mich nämlich am Freitagmorgen von meinen Jungs im Techo Pinardi verabschiedet hatte, kam die Neuigkeit, dass uns ab zwölf Uhr mittags niemand mehr zum Flughafen bringen könne, da totale Ausgangssperre herrschte. Nicht mal unser Koordinator konnte sich eine Erlaubnis für nach zwölf Uhr klar machen. Jetzt stelle man sich vor, ich komme ca. um 10.30 Uhr von meiner Verabschiedung nach Hause – meine Mitfreiwilligen waren schon ein bisschen am Haus aufräumen – aber mit mir kommt unser Koordinator mit der Nachricht, wir müssten sofort abfahren, sonst bekomme er ziemlich Stress mit der Polizei…
Ja gut, …
…das hörte sich ziemlich eindeutig an und so begann die am meisten überhetzte Abreise und Wohnungsübergabe, die ich bis jetzt je erlebt habe. Es hieß ab da nur noch „Apurrense, ya no nos queda tiempo“ – „Beeilt euch, wir haben keine Zeit mehr!“ Wir waren wirklich am Limit und zu all unserem Packstress war noch die Nachricht gekommen, dass wir im Flieger auf Grund dessen begrenzten Lagerkapazitäten nur maximal ein Aufgabegepäckstück mit 23 Kilo und ein Handgepäck bis 5 Kilo mitnehmen konnten. Doof nur, dass wir von allem mehr zu bieten hatten. So kam es, dass ich einen großen Koffer mit einigen meiner Habseligkeiten in Santa Cruz de la Sierra stehen lassen musste – wer weiß, ob ich den nochmal wieder sehe…
Dann war es so weit – Das Autodach zum Brechen vollgepackt mit Volontärskoffern und innen drin acht Leute im Sechssitzer-Jeep. Letzteres war für uns keine große Herausforderung mehr, da wir grundsätzlich gerne mal zu siebt oder mehr in dem ein oder anderen Taxi fuhren.

Als wir dann um halb zwölf Uhr mittags am Flughafen „Viru Viru“ in Santa Cruz ankamen und ich mich innerlich so langsam von meiner Zeit in Santa Cruz verabschiedete, wurde mir erst klar, dass wir noch nicht so gleich einchecken konnten, denn unsere Maschine sollte erst um elf Uhr abends abheben…

Um 14 Uhr fing dann das Check-in-Chaos an, denn so einen Sonderflug zu koordinieren und dabei noch zu entscheiden, wer nun mit darf und wer nicht, stellte sich als nicht ganz einfach heraus. Also hieß es für uns Schlange stehen… Oder sitzen bzw. liegen.

Fünf volle Stunden…
…während welcher sich 500 Menschen fragten, ob sie denn heute wirklich in einem Flieger mit 450 Plätzen mitkommen würden. Am Ende stellte sich heraus, dass tatsächlich nur 450 dieser heiß begehrten Stoffsitze vergeben wurden und so mussten die circa übrigen 50 Leute auf den nächsten Flieger warten, der vielleicht in der nächsten Woche kommen würde.
Aber wir Volos waren alle drin.
Was für ein hervorragendes Gefühl, nach dieser ewigen Nervenfolter einmal Klartext zu haben. Zuvor wurden durch Passkontrolle,
und
gejagt, immer wieder mit der Nachricht im Nacken, dass wir uns beeilen sollten, weil wir zu den Letzten gehörten. Die Abflugzeit wurde auf 19 Uhr vorverlegt und es gab wirklich Stress, sodass ich mich noch erinnern kann, wie ich im Laufschritt die riesige Fliegertreppe hinaufrannte, um noch mitzukommen.
Und dann ging es los.
Am Freitagabend, recht pünktlich um 19:05 Uhr setzte sich dieser riesige Vogel in Bewegung in Richtung Heimat. Vollgestopft bis zum letzten Platz, erhob er sich mit viel Mühe in die Lüfte, von einer Startbahn, die keine zehn Meter kürzer hätte sein dürfen…
Ja, alles war so ein bisschen knapp – vom Anlauf, den unser Flieger genommen hat, bis zu meinen sieben Monaten in Bolivien, die ja eigentlich ein Jahr sein sollten… Aber eins haben diese beiden Tatsachen gemeinsam:
Es hat gepasst.
Genau so und nicht anders. Daheim angekommen läuft das Leben weiter – ob ich jetzt sieben Monate oder zwölf weg war, – ich habe ja ein zu Hause. Und eigentlich konnte auch wieder niemand etwas dafür, dass es so gelaufen ist, wie es eben gelaufen ist…
Das sind ein paar Gedanken, die ich mir jetzt rückblickend auf meine wundervolle Zeit auf der anderen Seite der Welt so mache. Natürlich gibt es Momente, wo ich mir denke, was ich vielleicht noch alles erlebt hätte… aber zur Zeit kann ich daran nichts ändern. Egal – ich werde auf jeden Fall noch einmal zurückkommen. Das steht fest.

VON GABRIEL BOOMS